Justus (23.3.2018, 03:17): Habe gerade dein neues Kapitel gelesen. Ist ein toller wurf, Donata, das hast du doch nicht alles heute nacht geschrieben? Das macht mich ja geradezu neidisch! Und ich habe gedacht, ich bin hier der profi …  Habe schon mal ein paar kommentare hinterlassen, wie du es noch ein wenig geschickter aufbauen könntest. Kleinigkeiten. Hier und da was verschieben.

Donata (23.3.2018, 03:22): Nein, ich hatte schon eine Rohfassung, wir haben doch alle schon die ersten Texte in der Schublade, will sagen, auf dem PC, oder nicht? Ich bin gespannt auf dein erstes Kapitel! Aber mir reicht es jetzt, ich muss morgen früh raus. Gute Nacht.

Justus (23.3.2018, 03:35): Donata, bist du noch wach? Ich komm nicht so recht weiter mit meinem text. Ich muss an unseren chat von vorhin denken. Ich erinnere mich noch an den abend, als du uns von deinem kranken vater erzählt hast. Weißt du noch? Es ging um die abenteuer, die wir in unserem leben schon zu bestehen hatten. Am selben abend hast du andeutungen über ein besonderes abenteuer gemacht, das ich unter dem Stichwort „DAS FABRIKERLEBNIS“ abgespeichert habe. Du hattest dich geziert, die geschichte ausführlich zu erzählen, obwohl Sarah und ich sehr freimütig von unseren spannendsten abenteuern berichtet hatten. Meine begegnung mit der italienischen mafia, Sarahs verhinderte Liebesgeschichte in der u-bahn. Erinnerst du dich? Und dieser ganze peinliche scheiß in unserer verklemmten jugend.

Donata (23.3.2018, 03:40): Das ist jetzt genauso der falsche Moment wie damals.

Justus (23.3.2018, 03:42): Donata, liebes, du musst jetzt unbedingt noch von deinem ominösen FABRIKERLEBNIS berichten, damit ich heute ruhig schlafen kann.

Donata (23.3.2018, 03:43): Ich bin jetzt wirklich müde.

Justus (23.3.2018, 03:43): Und ich bin jetzt richtig wach.

Donata (23.3.2018, 03:44): Bist du sicher? Dann kann ich nämlich im Anschluss gleich Frühstück machen und den Rest des Tages in die Tonne treten. Ich bin ja auch nicht mehr 16. Wollen wir das nicht lieber auf Samstag verschieben?

Justus (23.3.2018, 03:46): Der ist doch schon für beileidsbekundungen reserviert.

Donata (23.3.2018, 03:47): Ist gar nicht so spannend, wie du glaubst.

Justus (23.3.2018, 03:48): Eine gutenachtgeschichte für Justus, der sonst noch auf dumme gedanken kommt. Bukarest ist weit und Sarah, will mir scheinen, noch viel weiter. Du warst doch sowieso schon im flow.

Donata (23.3.2018, 03:50): Nee, jetzt ist echt genug, ich geh ins Bett.

*

Donata (23.3.2018, 13:37): @Thomas: Den folgenden Text habe ich geschrieben, um so etwas wie eine Schuld abzutragen. Wir hatten bei unserer Reise in Bukarest ein paar Tage wegen geplatzter Termine zu überbrücken und deshalb viel Zeit für Gespräche. Wir verfielen anfangs in einen endlosen Fluss gepflegten Smalltalks und hatten bald das Gefühl, dass wir damit unsere Zeit vergeudeten. Du kennst Justus, er fing an, bei jeder Gelegenheit nachzubohren und schlug irgendwann vor, „Wahrheit oder Pflicht“ zu spielen, wie in Jugendtagen. Das war der Ursprung unserer Wahrhaftigkeitsregel. Jemand stellt eine Frage und du musst absolut ehrlich antworten, auch wenn es peinlich ist. Und du musst dir jede weitere Nachfrage gefallen lassen. Das ist übrigens nicht nur für den, der ausgefragt wird, grenzwertig, auch für den Fragesteller, dessen Fragen ja auch was offenbaren. Eines der extremeren Beispiele: Hast du dir als Kind mal irgendeinen Gegenstand in den Po gesteckt? Was hattest du für ein Gefühl dabei? Und dann kam es unter anderem zu den „Abenteuern“. Vielleicht sollten Sarah und Justus ihre „Abenteuer“ für dich auch noch einmal aufschreiben. Ich habe meines jedenfalls mal in Form gebracht. Justus bestand darauf. Du kennst die Geschichte schon. Ich habe sie dir vor vielen Jahren erzählt. Allerdings nicht vollständig:

In dem Viertel, wo wir damals wohnten, gab es eine alte, leerstehende Fabrikhalle. Meine Freundinnen waren fasziniert von diesem Gebäude, in dem sich in unserer Phantasie verborgene Schätze, Unbekanntes, Ungeheuerliches und möglicherweise das Böse schlechthin befanden. Alles, was in unserer geordneten und behüteten Wirklichkeit nicht vorkam, musste in diesem geheimnisvollen Gebäude versammelt sein. Durch die Fenster im Erdgeschoss konnten wir vergammelte Matratzen sehen, Spinte und Schränke, leere Flaschen, auf dem Boden herumliegende Zeitschriften und manches andere. Wir wagten lange nicht, uns Zugang dazu zu verschaffen. Die schweren Metalltüren waren allesamt verschlossen. Aber wir wussten, dass es einen Weg über zwei aufgebrochene Kellerfenster geben musste. Wir hatten mal beobachtet, wie zwei Jungs da einstiegen und lange Zeit nicht mehr herauskamen. Irgendwann zeigte uns Jette ein großes Diapositiv, das mit einer alten Plattenkamera geschossen worden sein musste, auf dem zwei Männer vor einem erlegten Elefanten posierten. Sie sagte, das habe ihr großer Bruder auf dem Dachboden des Fabrikgebäudes gefunden, und es befänden sich dort oben noch weitere Kisten und verschlossene Schränke mit vergessenen oder versteckten Habseligkeiten von wem auch immer. Sie schlug vor, dass wir auch einmal das Innere des Gebäudes erkunden sollten. Wir besorgten uns zuhause alles, was wir für eine zünftige Expedition zu benötigen meinten: natürlich Taschenlampen, aber auch ein Picknick und Werkzeug, um verschlossene Schränke und Geldkassetten öffnen zu können. Jette brachte einen Stoffbeutel mit alten Schlüsseln mit, die sich bei ihr zuhause über die Jahre angesammelt hatten. Es war eine große Überwindung, durch eines der muffig-feuchten Kellerlöcher einzusteigen. Jette war die Mutigste und machte den Anfang. Sie rutschte tief hinunter, fiel hin und landete in einer modrigen Wasserlache. Aber da unten war bereits Endstation, denn der weitgehend leere Kellerraum war verschlossen und keiner von Jettes Schlüsseln passte ins Schloss. Wir zogen sie an den Händen wieder heraus und versuchten unser Glück bei dem zweiten Kellerfenster, das offenbar zum Heizungsraum gehörte. Jedenfalls standen dort riesige verrostete Kessel und alle möglichen Rohre wanden sich an dem abgeblätterten Putz der Wände entlang. Diesmal hatten wir Glück und gelangten zu der Treppe ins Erdgeschoss. Es war ungeheuer spannend, die Räume der alten Fabrik zu erkunden. Wir öffneten jede Tür und waren über jede noch so unbedeutende Entdeckung begeistert. Ich erinnere mich noch an die Toiletten. Alle Kloschüsseln waren zerschlagen worden, die Fliesen braun verschmiert. Wahrscheinlich gab es auch Graffitis. Ich glaube, ich habe da zum ersten Mal pornografische Zeitschriften gesehen. Jette blätterte durch die vergilbten Seiten eines etwas aufgequollenen Magazins, das auf dem Boden lag, mit einer dünnen Eisenstange, die sie irgendwo aufgehoben hatte, und wir verzogen angewidert die Gesichter. Ich weiß nicht mehr genau, was wir da alles gesehen haben, aber wir fanden es jedenfalls eklig. Eklig und spannend zugleich. Jette hob das Magazin mit der Eisenstange an, balancierte es zu einer der zerschlagenen Kloschüsseln und warf es hinein, weil es ihrer Meinung nach dahingehörte. Langsam arbeiteten wir uns bis zum Dachboden vor, inspizierten vertrocknete Schmetterlinge und einen mumifizierten Vogel, einen kleinen Singvogel, der sich vielleicht durch ein halb geöffnetes Dachfenster dorthin verirrt hatte und dann wohl verhungert war. Wir waren ein wenig verwundert, denn keine der Dachluken stand offen. Wir fanden dann tatsächlich noch zwei Kartons und eine Holzschatulle mit Diapositiven. Sie waren wahrscheinlich alle auf einer Safari in Afrika entstanden, schwarzweiß, immer wieder dieselben Männer, die aussahen wie in den alten Filmen, die mein Vater sich hin und wieder im Fernsehen ansah. Die müssen aus den Dreißigerjahren gewesen sein. Weil wir dort oben auch ein paar Stühle und einen Tisch fanden, beschlossen wir in unserem Entdeckerstolz und in unserer Begeisterung über den Mut, den wir bewiesen hatten, hier unsere Zentrale einzurichten, mit Geschirr, Besteck, Kissen, Tischdecken und Vorhängen. Unser Geheimversteck. Schon am nächsten Tag standen wir wieder auf dem staubigen Dachboden und bestückten ein Regal, das wir im zweiten Stock gefunden hatten, mit allerlei Kram. Wir waren jetzt noch mutiger geworden als am ersten Tag und streiften auch allein durch die Räume auf der Suche nach weiteren Gegenständen, mit denen wir unsere Zentrale ausstatten konnten. Wir hatten zwar weder Strom noch fließend Wasser, aber wir trugen dennoch eine quietschende Schreibtischlampe, einen verkalkten Tauchsieder und ein Transistorradio mit einer abgebrochenen Antenne in unser neues Heim. Konstanze hatte in einer Abseite einen Stapel weiterer Porno-Magazine gefunden, die nicht so vergilbt, fleckig und aufgequollen waren wie unser erstes Fundstück. Auch wenn wir uns gegenseitig versicherten, wie abartig wir die Darstellungen darin fanden, studierten wir die Hefte doch eingehend, verstauten sie anschließend in einem leeren Pappkarton und beschlossen, ihn den „verbotenen Schatz“ zu nennen.

Nach einiger Zeit wurde uns in unserer Zentrale langweilig und wir begannen wieder mit unserer Expedition durch die anderen Räume. Wir spielten ein etwas komisches Spiel, bei dem wir uns irgendwo im Gebäude hinter irgendwelchen Türen verstecken mussten. Immer zwei von uns versteckten sich also und eine musste suchen. Konstanze hatte sich das ausgedacht. Ich hatte mir ein Versteck im zweiten Stock ausgesucht und war in einen etwas klapprigen Schrank gekrochen, als Jette, die im Erdgeschoss zu suchen begonnen hatte, einen markerschütternden Schrei ausstieß und panisch unsere Namen rief. Ich hatte mich noch nie in meinem Leben so sehr erschreckt und stellte mir vor, dass Jette jetzt gleich ermordet werden würde. Sie schrie dann nicht mehr, aber ich hörte, wie sie die Treppen heraufgelaufen kam. Ich wagte nicht, mein Versteck zu verlassen, um nicht auch noch dem Mörder in die Arme zu laufen. Das Herz schlug mir bis zum Hals, ich horchte auf jedes Geräusch, jeden Laut und überlegte fieberhaft, wie ich entkommen konnte. Hinter dem Fenster gegenüber sah ich einen Baum, dessen Äste nah heranreichten. Im schlimmsten Fall würde ich aus dem Fenster steigen und mich über einen der Äste bis zum Stamm hangeln. Wenn ich von dort vielleicht auch nicht weiterkommen würde, wäre ich zumindest gerettet. Dann würde ich von dort aus zusehen müssen, wie Jette und Konstanze von dem Mörder aufgeschlitzt wurden. Ich zitterte am ganzen Leib. Dann hörte ich Konstanzes Stimme und Jette sprach schnell und aufgeregt im Flüsterton. Sie mussten ganz in der Nähe sein. Ich verließ mein Versteck und traf auf die Beiden. Jette war totenbleich und sagte, dass sie unten einen Mann gesehen habe. Der habe furchtbar verwahrlost ausgesehen, mit blutunterlaufenen Augen. Und sei langsam auf sie zugegangen. Er habe sehr wütend ausgesehen. Bestimmt würde er gleich die Treppe zu uns hinaufsteigen. Zum Glück gab es ein zweites Treppenhaus. Wenn der Mann Konstanze gefolgt war, mussten wir über das zweite Treppenhaus entkommen können. Also schlichen wir dahin, horchten, stiegen auf Zehenspitzen die Stufen hinab und gelangten schließlich in den Heizungsraum, wo Konstanze und ich Jette, die zu weinen begonnen hatte, durch das erhöhte Fensterloch schoben und uns dann nacheinander heraufziehen ließen. Ich war die Letzte. Als sie mich bei den Handgelenken gefasst hatten, hörte ich hinter mir schlurfende Schritte. Ich schrie, sie sollten mich endlich hinaufziehen und blickte mich um. Da stand dieser Mann im Türrahmen und brummte irgendwas Unverständliches. Ich hatte Angst, dass er mich gleich packen und festhalten würde, und dann würde es um mich geschehen sein. Jette und Konstanze schrien ebenfalls und zerrten mich durch die Luke. Ich ratschte mir die ganze Seite auf und verlor einen Schuh. Auf der Flucht trat ich dann ausgerechnet auch noch in eine Scherbe. Die Narbe habe ich heute noch. Es blutete furchtbar. Aber ich hörte nicht auf zu laufen. Wir rannten einfach nur nachhause, das letzte Stück jede für sich allein, weil wir ja nicht im gleichen Haus wohnten. Mit meiner Wunde am Fuß war ich natürlich in Erklärungsnot. Mir blieb nichts anderes übrig, als meiner Mutter alles zu erzählen. Und die erzählte es später meinem Vater, der mich wütend anblickte und uns drei für verrückt und leichtsinnig erklärte. Ich musste versprechen, dass ich das Gebäude nie wieder betrete. Hätte ich auch so nicht.

Das ist die Version der Geschichte, wie ich sie Thomas erzählt habe, vielleicht etwas weniger dramatisch damals. Die würde ich ohne Umschweife auch jedem anderen erzählen. Und habe sie auch schon mal einer Freundin erzählt. Über das Spiel, das wir damals in der Fabrik gespielt haben, habe ich aus guten Gründen geschwiegen. Ich komme also unter der Bedingung unserer Wahrhaftigkeitsregel der berechtigten Nachfrage zuvor. Unser Spiel hatte mit dem zu tun, was wir in diesen Magazinen gesehen hatten. Konstanze hatte es sich ausgedacht, aber sie musste uns nicht lange überreden. Es bestand darin, dass wir uns ein Versteck suchen mussten und da etwas ganz Bestimmtes tun mussten, wobei wir dann erwischt werden sollten. Wir sollten uns in dem Versteck Hose und Schlüpfer runterziehen und dann so lange da unten an uns rummachen, bis wir entdeckt wurden. Ein bisschen pervers, aber natürlich furchtbar aufregend. Das war ein großes Gequietsche, wenn wir in unseren Verstecken erwischt wurden oder jemanden erwischten. Konstanze hatte sich einmal sehr gut versteckt. Ich brauchte eine Ewigkeit, bis ich sie in der Abseite fand, in der sie die Magazine gefunden hatte. Sie lag da mit runter¬gelassenen Hosen, die Hand zwischen den Beinen, und hatte einen seltsam glasigen Blick. Sie ließ sich durch mich, als ich die Tür öffnete, nicht irritieren, sondern rieb einfach weiter. Sie muss in dem Moment einen Orgasmus gehabt haben, vielleicht den ersten in ihrem Leben. Sie zuckte ein wenig und ich dachte, sie hätte sich vielleicht verletzt. Aber dann zog sie sich schnell die Hosen hoch und krabbelte ohne ein Wort aus ihrem Versteck heraus. Wir haben dieses Spiel niemals wiederholt. Auch nicht darüber gesprochen.

Justus (23.3.2018, 17:25): Hattest du auch einen orgasmus?

Justus (23.3.2018, 17:33): Würdest du das erlebnis als traumatisch bezeichnen? Ich meine, diese ungute verbindung von sex und angst. Die kleinen mädchen erkunden ihre unschuldige sexualität und dieses lustvolle erlebnis wird dann überschattet von todesangst und dieser vagen ahnung davon, was es heißt, vergewaltigt zu werden. Hat das deine einstellung zur masturbation negativ beeinflusst?

Justus (23.3.2018, 22:23): Keine antwort ist auch eine antwort.

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